Siegfried Lenz erzählt uns die Geschichte von Henry Neff, einem 24jährigen Mann der nach einem Arbeitsplatzwechsel nicht etwa den Weg weit nach oben in der Karriere anzuschlagen versucht, sondern sich in ein Fundbüro eines Hauptbahnhofs versetzen lässt. „Endlich hatte Henry Neff das Fundbüro entdeckt“, heisst es direkt zu Beginn des Romans und so ist man mitten drin in der Geschichte, deren Vorspiel nach und nach im Roman aufgelöst wird. Bald gewinnt er Gefallen an seinem neuen Arbeitsplatz – er findet es interessant, den Menschen dabei zuzuhören, was sie vermissen, was sie wie und wo verloren haben. Begeistert oder verwundert ist er von den Feststellungen, was die Menschen so alles verlieren können. Von den alltäglichsten Gegenständen wie Schlüsselbund oder Geldbeutel hin zu den kuriosesten und wertvollsten Dingen wie einer besonders hochwertigen Flöte oder Strandstühlen. Kurz: Dieser Berufsalltag wird Henry so schnell nicht langweilig. Hinzu kommt dann jedoch bald noch eine Geschichte, die das Gefilde des Fundbüros verlässt: Henry Neffs Freund, der Mathematiker Fedor Lagutin, wird von Gewalttätern bedroht und er muss ihm beistehen. Und dann wird das beinahe familiäre Kollegenverhältnis im Fundbüro auch noch getrübt, als Henrys Kollege um seinen Arbeitsplatz bangen muss, da die Bundesbahn Reformen angekündigt hat. Was er bereit wäre, für seine Freunde zu tun, ist sowohl begeisternd wie auch rührend zu lesen.

Siegfried Lenz, 1926 im ostpreußischen Lyck geboren, gestorben 2014 in Hamburg, zählt zu den bedeutendsten Schriftstellern der deutschsprachigen Nachkriegs- und Gegenwartsliteratur. Seit seinem Debütroman „Es waren Habichte in der Luft“ von 1951 veröffentlichte er alle seine Romane, Erzählungen, Essays und Bühnenwerke im Hoffmann und Campe Verlag.

Das Buch haben wir in unserem Literaturclub vom 10. November 2021 besprochen.